Aktuell

News-Archiv
Zurück zur Übersicht
Bericht vom 11.04.2018

Pia Peiner FLÄCHEN UND FIGUREN

Ausstellung im Rahmen von ars secumaris vom 23.2.-15.08.2018

© Jutta de Vries

Pia Peiner
FLÄCHEN UND FIGUREN
Ausstellung im Rahmen von ars secumanis vom 23.2.-15.08.2018
Einführung zur Eröffnung am 23. Februar 2018
©Jutta de Vries


Sehr geehrter Herr Bernhardt, sehr geehrte Herren und Damen – und von ferne grüße ich besonders herzlich unsere heutige leider abwesende Künstlerin Pia Peiner.


Obwohl wir uns in den letzten Tagen nicht beklagen konnten, reißt unser norddeutscher Winter doch  oft ziemlich stark an unseren Gemütern. Um so glücklicher können wir sein, heute Abend inmitten strahlender Farbenkraft die neue Ausstellung der „ars secumaris“ genannten Ausstellungsreihe des Unternehmens Secumar in Holm mit einer Werkauswahl von Pia Peiner zu eröffnen. 


Die sympathische Künstlerin – viele von Ihnen werden sie kennen – hat schon in ihrer Kindheit und Jugend ernsthaft gemalt und gezeichnet, dann aber doch den Beruf der Gymnasiallehrerin für Englisch und Geographie gewählt.  Während ihrer Berufslaufbahn in Köln und später in Hamburg war die Kunst aber immer an ihrer Seite – die Idee der heiteren bemalten Schaufensterpuppen stammt noch aus dieser Zeit.


Nach dem Ausscheiden aus dem Schuldienst, ist Pia Peiner nun seit vielen Jahren hauptberuflich Malerin. Fachausbildungen in der renommierten Kölner Malschule Dieter Schlautmann, in der Worpsweder Malschule Hamburg-Pöseldorf und ab 2005 im Atelier für Kunst und Heilkunst bei Hans-Joachim Kerres in Blankenese machen sie fit in den Techniken Zeichnung, Aquarell, Ölmalerei und Acryl, auch geht sie mit experimentellen Pigment-Mischtechniken in den letzten Jahren ganz eigene Wege. Die Künstlerin ist Mitglied in der Künstlergruppe „Hamburger Moderne“, in deren Rahmen sie auch ausstellt.


Was wir in dieser Ausstellung sehen, ist ein gewisser Rückblick auf das Gesamtschaffen von Pia Peiner, das in der Zeit um 2000 beginnt. Es gibt impressionistische Landschaften  der ersten Stunde und  frühe strahlkräftige Stillleben in klarer, plastischer Gegenständlichkeit, geradezu zum Anbeißen geeignet. Man spürt, daß diese Genauigkeit der Reproduktion eines Ensembles mit großer Intensität und Freude verbunden war, mit der Lust am Können gewissermaßen. Da fällt mir die Geschichte von Xeuxis ein. Der griechische Maler stellte Weintrauben so naturgetreu dar, daß die Vögel herbei flogen, um daran zu picken. Aber auch die alten Holländer des 17. Jahrhunderts, die der Gattung „Stillleben“ ja ihren gewichtigen Platz in der Kunstgeschichte verschafft hatten, wären stolz auf Pia gewesen. Allerdings faßt sie die Fruchtensembles ganz wertfrei auf, also ganz ohne die alte versteckte Botschaft des „Memento Mori“, bei der häufig abbrennende Kerzen , zerbrochene Tonpfeifen oder Totenschädel, manchmal auch faulende oder von Insekten befallene Früchte im Bild angeordnet waren, um symbolträchtig an die Vergänglichkeit alles Irdischen zu erinnern.  Pias „Stillleben mit Melone“ könnte allerdings doch in diese Richtung weisen, wenn man in den Schatten des Glases eine Uhr hinein interpretieren möchte.


Den größten Raum in der Ausstellung nehmen die ungegenständlichen Arbeiten ein, mit denen sich die Künstlerin in der letzten Zeit besonders befaßt. Sie stellen sich hier in verschiedensten Formaten auf, vom handlichen 50x50-Quadrat – (kleiner Hinweis für Sammler: die  kleinen Formate lassen sich  übrigens wirkungsvoll zu großformatigen Gruppen zusammen fassen) – über hoch- und querrechteckige bis zu kreisrunden Leinwänden. Nun ist es nicht mehr der Gegenstand, der das Bild beherrscht, sondern Form und Farbe zeigen sich als Akteure und fordern uns als Betrachter zum Mitdenken, Mitfühlen und zum Inneren Kommunizieren auf.  Farbenfroh leuchten sie uns entgegen, manchmal in Serien, und dann noch appellativer, fordernder  in ihrer Absicht, uns zu überraschen, zum genauen Betrachten zu bewegen. 


Hier in der hellen Cafeteria scheint die gelbe Serie noch strahlender, sprechender – denn gelb gilt als das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich, wie der große Expressionist und Blauer-Reiter-Maler Franz Marc es einst formuliert hat. Es gibt dann die blauen Großformate im Eingangsbereich zu den Büros. „Herb und geistig und männlich“ wird blau von Marc genannt. Und die rote Reihe, die sich, immer zwischen anderen, doch glühend behauptet – kein Wunder, Marc bezeichnet rot als „ Materie, schwer und brutal und stets die Farbe, die von den anderen bekämpft werden muß“. Marc spricht nur von den drei Primärfarben gelb, blau und rot. Die Farben 2. Ordnung im Bauhaus-Farbkreis, die Sekundärfarben orange, grün und  violett interessieren ihn nicht so sehr in ihrer psychologischen Bedeutung, sie ergeben sich aus den jeweiligen Mischungen der Primärfarben untereinander, er hält sie für „Zwitterwesen“, die jedoch enorme Steigerungsfähigkeit zeigen, wie Pia Peiner uns in ihren Arbeiten beweist. 


Während Franz Marc in seinen Gemälden  zwar die Gegenstandsfarbe zugunsten der Gefühlsfarbe, aber nie den Gegenstand selbst verließ, geben in Pia Peiners experimenteller Abstraktion nur noch Form und Farbe den Ton an – das Inhaltliche, das „Was soll das denn bedeuten“, ist Sache des Betrachters. Die meisten Werke haben deshalb keine hilfreichen Titel, es überwiegt o.T., manchmal zeigt „Vision“ oder „Traumlandschaft“ in eine bestimmte Richtung. Die Künstlerin spielt mit Farben und wasserbasierenden Verfahren von Acryl und Farbpigmenten mit dem gelenkten Zufall, um durch fließende, bewegte und vielfach lasierende Übermalungen den gewünschte formalen Effekt  einer durchscheinenden Tiefenwirkung entstehen zu lassen, oder ein perpetuum mobile, das an tosende Wasser erinnert, oder diagonale Bildstürze aus Dunkelheit, die in den unendlich scheinenden Raum fallen. Harte Konturen stehen gegen sanfte Farbverläufe, die von hell bis dunkel schattieren, Strudel und Strahlen, Orthogonales und Wolkiges werden kontrastiert. Und bei allem hat der Zufall, die Aleatorik, einen nicht unerheblichen Anteil: wie fließt die Farbe über der Trägersubstanz, wie mischen sich die Pigmente, wo entstehen sogenannte Farbinseln? Wo muß lenkend eingegriffen werden, um den Zufall zu gestalten, damit das komponierte Bild entstehen kann? 


Fragen, die sich auch wohl Paul Cezanne, - „Vater der modernen Malerei“ wird er genannt – gestellt hat, wenn er sagt: „Bisweilen stelle ich mir die Farben als lebendige Gedanken vor, Wesen reiner Vernunft, mit denen ich mich auseinandersetzen kann. Die Natur existiert nicht an der Oberfläche, sie geht in die Tiefe.“ 


Mehr als 100 Jahre später hat dieses Zitat immer noch Gültigkeit, auch in Bezug auf die Werke von Pia Peiner – die Tiefe des Farbgedankens führt jetzt aber zur Abstraktion, die uns Betrachter in die Lage versetzen kann, Naturphänomene immer noch zu erahnen, zu erfühlen, sich vorzustellen, oder sogar sich durch Meditation im Bildraum zu verlieren. 


Besonders faszinierend erweist sich diese Idee im Tondo. Die kreisrunden Leinwände hat Pia Peiner mehrfach verwendet, hier gibt es kein oben und unten, alles rotiert, kreist um den Blick des Betrachters, die Dynamik der Kreisform wiederholt sich im Duktus der Farbverläufe, spiralartig unwiderstehlicher Sog reißt uns mitten in den Kosmos.
Schon seit der Antike haben Künstler diese komprimierte Darstellungsidee in Form des gedachten Universums besonders geschätzt, in der Renaissance war sie zu Hochform aufgelaufen und wird heute mit ihren suggestiven Möglichkeiten von einigen Künstlern wieder neu entdeckt.


Ein Werk, das die Künstlerin aber besonders liebt ist kein Tondo, sondern das große Hochformat „Engel“. Hier verbindet sie die abstrakte Aleatorik des Hintergrundes mit der figürlichen Darstellung einer ätherischen Engelsgestalt, deren übergroße, glänzende Flügel wie zum Schutz erhoben sind. In diesem Werk gehen also Abstraktion und Figuration eine Symbiose ein, eine reizvolle Möglichkeit stelle ich mir vor für weitere Experimente in diese Richtung.


Aber Pia Peiner ist natürlich auch ausdrücklich figurbetont in einem Teil ihres Werks, denn unübersehbar stehen, fläzen, toben sie hier herum, ihre Bodypaint People, und Sie haben sicher schon darauf gewartet, daß wir mit ihnen Kontakt aufnehmen. Begrüßen wir das illustre Paar, das den Büroeingang flankiert, „Heinrich, (mir graut vor dir)“ Du mit Deiner Faust, so begrüßt man nicht die Gäste, und streitet auch nicht mit der schnippischen schönen Dame “True Colours“! Und Du, Cyberman, wo sind denn Deine digitalen Geräte alle hin? Die haben Dir doch nicht etwas die Kollegen Models von Secumar entwendet? Und Dein blinkender Halsring, ist das die neueste Rettungs-Entwicklung des Unternehmens? Und ganz einsam, der sanft gesprühte Herr dort hinten, gestatten Sie, daß wir Sie beim Denken stören, Sir Friedrich? Am Cafeteria-Eingang begrüßen wir Sie, meine Dame, sie scheinen die Personifikation der Lebensfreude, Sie sind Pia Peiners erstes Körper-Werk, noch aus Köln. Und danach, wie das so manchmal geschieht, haben Sie  die Künstlerin zur Wiederholungstäterin gemacht – und das zu unserem großen Spaß.


Neben der gestischen Kommunikation versenden die Figuren nämlich auch zeichnerische und Farb-Signale, die nicht nur mit Linien und Spiralen die Körperformen betonen und hervorheben, sondern wie geheime Botschaften gelesen werden können: Ihrer Phantasie beim Entschlüsseln und Erfinden sind hier keine Grenzen gesetzt!


Wie Sie sicher wissen, hat die Bemalung von Körpern eine Tradition bis zurück zu den Urvölkern und ihren kultischen Tänzen zur Bannung wilder Tiere, zum Götterkult, zur Initiation, sprich Verwandlung von einem Lebensstatus in den anderen, vom Kind zum Erwachsenen. Wichtig sind bis heute die Stammesbemalungen, die ein Zugehörigkeitsgefühl und dadurch Stärke  vermitteln. Überall auf der Welt ist deshalb lange schon das Tattoo beliebt, heute bedeckt es auch oft den ganzen Körper, ist farbig gefaßt und manchmal ein echtes Kunstwerk. Der neueste Schrei sind Bodypaints, die wie Kleidung aussehen, mit denen sich Mutige in die Öffentlichkeit begeben. Der Mensch, der eine ewige Sehnsucht nach Erkenntnis hat, möchte, abgesehen vom Schminken des Gesichts, einfach mal aus seiner Haut, in eine erträumte Fremde schlüpfen, sich verwandeln und spüren, wie sich das anfühlt, das Anderssein. 
In den 80ern das 20. Jhts entdeckten die Popartkünstler die Körperbemalungsidee neu und ihre Werke wurden so bunt und geometrisch bewegt wie Pia Peiners Bodypaint-Familie.


So schließt sich der Kreis der „Flächen und Figuren“ in dieser heiteren Ausstellung.


Wenn wir auch leider die Künstlerin heute nicht befragen können, bin ich sicher, daß die folgenden Worte von Paula Modersohn-Becker zu Pia Peiner unbedingt passen, und ich lege sie ihr einfach mal  in den Mund: 
„Ich möchte das Rauschende, Volle, Erregende der Farbe geben, das Mächtige“.




Viele anregende Gespräche wünsche ich Ihnen beim Betrachten der Ausstellung.


Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht